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13.02.2016 … geistern Horrorzahlen durch alle Gazetten, die unisono das große Möbelhaussterben voraussagen. Grundlage für die unverhoffte Publizität der Möbelbranche ist eine Studie des Kölner Instituts für Handelsforschung (IFH) bzw. dessen E-Commerce-Tochter ECC, die von der Agentur „dpa“ boulevardmäßig ausgeschlachtet und zum Horrorszenario hochstilisiert wurde.
Es geht um den sterbenden Möbelhandel, der eher früher, als später dem bombastisch wachsenden E-Commerce zum Opfer fallen wird. Und das klingt dann so: „Viele Händler scheinen die Bedrohung noch nicht erkannt zu haben.“ Nach Angaben der ECC-Studie könnte jedem dritten von insgesamt 30.000 Möbelgeschäften die Schließung drohen. „Damit stünde 10.000 Möbelfilialen das Ende bevor.“

Dieser Satz stammt von Jens Rothenstein, selbsternannter ECC-Branchenexperte. Mal abgesehen davon, dass es natürlich im Sinne der Online Anbieter ist, wenn in Wirtschafts-, Boulevard- und Tagespresse ständig darauf hingewiesen wird, dass es Möbel auch Online zu kaufen gibt, und dass dieser Vermarktungsweg geradezu explodiert, jongliert Experte Rothenstein mit nicht nachvollziehbarem Zahlenmaterial.

30.000 Möbelgeschäfte. Seit über 30 Jahren liegt die Zahl der selbstständigen Möbelhandelsunternehmen in Deutschland laut Bundesverband des Deutschen Möbel-, Küchen- und Einrichtungsfachhandels (BVDM) bei 10.000, eine Zahl die mittlerweile auf 9.000 reduziert wurde.

Und auch dieser Wert wurde immer wieder angezweifelt, da dort – früher zumindest - nachweislich auch massenweise Aktentaschenhändler mitgezählt wurden. 9.000 scheint also immer noch sehr hoch gegriffen. Auch dann, wenn man alle Filialen meint und nicht alle Handelsunternehmen.

Was folgt? Wenn wirklich 10.000 Möbelhäuser schließen müssen, eine Annahme, die völlig aus der Luft gegriffen scheint, dann haben wir in Deutschland minus 1.000 Möbelhäuser und Einrichtungsgegenstände gibt es nur noch im „Netz“.

Aber die Berichterstattung basierend auf der ECC-„Studie“ bzw. aus dem, was „dpa“ daraus gemacht hat, ist auch sonst recht schräg: „Möbelbranche bangt um Zukunft“ – „Im deutschen Möbelhandel schrillen die Alarmglocken“ – „Eine Gefahr für die stationären Einrichtungshäuser?“ So wird Stimmung gemacht.

Und begleitend gibt es dann noch „Homestories“ mit Glamour-Effekt. Dankbares Objekt ist hier beispielsweise die Westwing-Gründerin Delia Fischer: „Diese Frau dekoriert die Welt“ jubelte kürzlich die Bild Zeitung in einem Fischer-Portrait.

BILD war „zu Besuch im Münchner Hauptquartier (ca. 400 Mitarbeiter)“. Und entlockte der „jungen Geschäftsfrau“ Ansagen wie: „Ich bin in einem schönen Wohnambiente groß geworden. Meine Mutter hat zu Hause immer alles sehr hübsch dekoriert.“ - Na dann. Sie habe sich immer gewundert, „dass es so immens viel Mode im Internet zu kaufen gibt, aber keinen Online-Versand für schöne, exklusive Dekoartikel“, erzählt die „bildhübsche sympathische Single-Frau“ dann noch der BILD.

Ihre Geschäftsidee vor fünf Jahren: „Westwing verkauft Artikel von bekannten Herstellern wie Rolf Benz, Villeroy & Boch, Alessi, lässt aber auch eigene Ware produzieren wie Bettwäsche in Portugal.“

Und Delia „wählt persönlich die Produktpalette aus“. „New York, Paris, London“, für ältere Leser klingt das nach „Dreiwetter-Taft“ – und die Frisur hält.

Und schließlich kommt auch noch die Tellerwäscher-Nummer: Die „zierliche Unternehmensgründerin“ hat nämlich fast alles aus eigener Kraft geschafft.

Zitat: „Ihr erstes Büro eröffnete Delia Fischer mit Mitte 20 im Westend, zusammen mit vier Freunden auf 500 Quadratmetern. Ein eingespieltes Team sind sie noch heute. Delia Fischer, Matthias Siepe und Stefan Smalla teilen sich die Geschäftsführung.“ Sie habe damals „schon ein bisschen Sorge“ gehabt, „ob wir uns mit der Idee nicht übernehmen“, erinnert sich Delia F. und hätte natürlich „nie gedacht, dass wir so rasant Erfolg haben“.

Kein Wort dabei über die Tatsache, dass der „rasante Erfolg“ längst unter den Fittichen des Start Up-Inkubators Rocket Internet stattfindet. Und alljährlich mit einem ansehnlichen Verlust in zweistelliger Millionenhöhe subventioniert wird.

Delia Fischer erklärt „die beeindruckende Bilanz“ von Westwing in dem BILD-Bericht denn auch ganz anders: „Ob Bettwäsche, Vasen, Kissen oder Boxspringbetten: Wir bieten alles, was Frauen lieben und wo Männer sich fragen, wozu man das braucht.“ Kein Wunder also, schließt der Bericht, „dass 90 Prozent der Kunden weiblich sind“.

Dass sich Männer ernsthaft fragen, wozu man ein Boxspringbett braucht, das wäre dann wieder eine andere Geschichte.

Ihr Ralf Hartmann
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